Wunderlicher Dreiklang

Lange fristete Oskar Schlemmers «Triadisches Ballett» ein Nischendasein. In den 1970er Jahren wurde es wiederentdeckt – der Anfang einer Erfolgsgeschichte, die jetzt in München weitergesponnen wird.

Isabelle Jakob
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Eher steife Bewegungen in wunderlichen Kostümen – Oskar Schlemmers «Triadisches Ballett». (Bild: Charles Tandy)

Eher steife Bewegungen in wunderlichen Kostümen – Oskar Schlemmers «Triadisches Ballett». (Bild: Charles Tandy)

Das «Triadische Ballett» von Oskar Schlemmer gilt als das unbekannteste bekannte Ballett. Unbekannt deshalb, weil es in seinem bald hundertjährigen Dasein vergleichsweise selten aufgeführt wurde. Bekannt aus dem Grund, weil es das Stück trotz prägenden Misserfolgen zu Ruhm und schliesslich in den Kanon der Tanzgeschichtsschreibung geschafft hat.

Zwischen gestern und heute

Nach seiner Uraufführung 1922 in Stuttgart fand das «Triadische Ballett» kaum Beachtung; erst 1977 wurde es wieder zum Leben erweckt. Damals nahm sich der Ausdruckstänzer Gerhard Bohner des Werks an und beauftragte für die musikalische Neukomposition Hans-Joachim Hespos. Ganz im Sinne Schlemmers, der sich bereits für die Uraufführung eine zeitgenössische Musik gewünscht hatte, sich dann aber mit einem Arrangement von Tarenghi, Debussy und Händel zufriedengeben musste. Bohners Rekonstruktion verzeichnete grosse Erfolge und wurde vergangenes Jahr aus dem Archiv geholt. Zusammen mit all den wunderlichen Kostümen, die für dieses nicht minder wunderliche Stück entworfen worden sind.

Mithilfe des Tanzfonds-Erbes der Bundeskulturstiftung haben Colleen Scott und Ivan Liška, beide einst selber Tänzer bei Gerhard Bohner, das «Triadische Ballett» für das Bayerische Staatsballett II neu einstudiert. Ein solches Projekt stellt eine Gratwanderung dar, denn einerseits sind die Rekonstrukteure der Vergangenheit verpflichtet, andererseits verlangt die Gegenwart nach einer Neuinterpretation. Viele rekonstruierte Ballette bewegen sich deshalb irgendwo zwischen verstaubter Historizität und erzwungener Modernität. Das «Triadische Ballett» in München bildet hierbei eine Ausnahme, was weniger auf die Rekonstruktionsarbeit als auf die Zeitlosigkeit der Choreografie zurückzuführen ist.

Es handelt sich um simple, relativ steife Bewegungen aus dem Ballettrepertoire. Als virtuos würde man die Tänze mitnichten betiteln. Vielmehr kommt man ins Nachdenken über die Ausführbarkeit der Abläufe, denn die Kostüme scheinen die Körper der Tänzer richtiggehend in ihrer Bewegungsfreiheit zu hemmen. Mit bunten Kugeln, sperrigen Reifen und dicken Polstern versehene Trikots zieren die Tanzenden, welche solistisch, zu zweit oder zu dritt («triadisch» ist abgeleitet vom griechischen Wort für «Dreiklang») ein Dutzend Tänze vollführen. Jedes dieser plastischen Kostüme hat seine Eigenheiten und kennzeichnet mit seinem Charakter den jeweiligen Träger – oder lässt ihn fast unter den Materialbergen verschwinden. Es sind kuriose Gestalten, die sich vergnügt zu den aufgezeichneten Klängen von Hespos auf der Bühne tummeln.

Auf die Schippe genommen

Das zeugt bisweilen von einer rührenden Komik, und manchmal wirkt es so, als ob das Ballett leicht, aber gleichzeitig sehr liebevoll auf die Schippe genommen würde. Dann nämlich, wenn die Drehungen fast übervorsichtig und mit einer theatralischen Ängstlichkeit ausgeführt werden. Oder wenn die Füsse in Spitzenschuhen punktgenau und mit prüfendem Blick nach unten auf dem Bühnenboden placiert werden. Das ist nicht nur amüsant, sondern vor allem sehr anmutig anzusehen. Colleen Scott und Ivan Liška sowie dem jungen Tänzerensemble ist ein wahrlich wunderlicher Abend gelungen. Ein Abend fern jeder Zeit.